fiese Fragen... an Michael Stavarič

 

Ein Liveblog führen, während einer großen Veranstaltung - und dabei Zeit finden für lange Interviews? Zur Leipziger Buchmesse 2015 bloggte, berichtete ich für Deutschlandradio Kultur - und stellte einen Fragebogen zusammen, der wenig Raum für weitschweifige Antworten lässt: kurze, schnelle, oft fiese Fragen, die ich u.a. Verlegerinnen, Journalisten und Buchbloggern stellte.

 

Sprachsalz ist eine tolle Gelegenheit, mehrere Autorinnen und Autoren zu befragen - darüber, was und wie sie lesen, was ihnen wichtig ist, womit sie hadern. Schnelle, aber intensive Gespräche.

 

Den Anfang machte Safiye Can. Jetzt: Michael Stavaric.

 


Foto: Denis Mörgenthaler
Foto: Denis Mörgenthaler

 

Michael Stavarič

Michael Stavarič (Foto: mcpublish)
Michael Stavarič (Foto: mcpublish)

Lebt in Wien, Österreich

 

Gäbe es eine völlig unwissenschaftliche Enzyklopädie der Romanciers, so wäre Michael Stavarič bei den Mikrokosmoliten und dort in der Untergruppe der Fragmentarier zu finden. Was allerdings nicht bedeuten soll, dass Stavarič haarspalterisch Erbsen zählt und dabei den Blick für das große Ganze verliert. Er erzählt Geschichten von Liebe, Verrat, Tod und der Kindheit. Seine Romane inszenieren Immobilienmaklerinnen, Metzgerinnen oder Zoohändler, Waisenkinder, Tiere, Brandstifter, Schwerenöter und mehr oder weniger toughe Frauen – immer mit einem Blick auch fürs Über-Reale.

«Michael Stavaričs Schreiben» so Beate Tröger im Chamisso-­Magazin «ereignet und entwickelt sich zwischen Gegensätzen und Spannungsverhältnissen, zwischen Rückgriffen auf Erzählmuster und der Abkehr von ihnen, zwischen anarchischer Spontaneität und Refle­xion, zwischen einem Verwirbeln und Ordnen der Worte.»

Ein besonderes Anliegen des 1972 in Brno/Tschechien geborenen und heute in Wien lebenden Autors sind außerdem seine Bilderbücher, die – wie auch die Romane – vielfach ausgezeichnet wurden und so schöne Titel wie «Gaggalagu», «Gloria nach Adam Riese» oder «Die kleine Sensenfrau» tragen.     

UW

 

Bücher-Auswahl:
«Der Autor als Sprachwanderer» Stefan Zweig Poetikvorlesungen 2016 Sonderzahl Wien; «Milli Hasenfuß» Kinderbuch 2016 Kunstanstifter Mannheim; «Königreich der Schatten» Roman, 2013; «Brenntage» Roman 2011 beide C.H.Beck München; «Böse Spiele» Roman 2011 dtv-Taschenbücher München; «Nadelstreif & Tintenzisch» Ein Bestiarium 2011 Haymon Innsbruck.
facebook.com/stavaric


 

Was liest du gerade?

 

Ich habe gerade Joachim Zelters „Die Würde des Lügens“ bekommen. Ich lese gern Bücher vor Ort. [Zelter ist Gast des Festivals.]


Liest du digital?

 

Noch nie. Ich habe kein Gerät dafür. Ich drucke mir .pdfs aus, ich lese ungern am Bildschirm. Auch meine eigenen Bücher habe ich nicht als eBook gelesen. (grinst) Das spricht nicht für das Format!

 

Nenn mir ein Buch, das du liebst.

 

Rot“ von Anne Carson.

 

Hast du ein Familienmitglied, dessen Leben ein guter Roman wäre?

 

Meine Mutter.

 

Ein Schriftsteller, den du gern interviewen würdest?

 

Hemingway. Ich könnte dann fragen: Hast du echt solche Riesen-Schwertfische gefangen?

 

Hast du im letzten Jahr ein Buch an ein Kind verschenkt?

 

Ja. Ich schreibe Kinderbücher, und habe sehr viele eigene verschenkt.

 

Sind Bücher dein Lieblingsmedium?

 

Ja.

 

Werden TV-Serien immer beser?

 

Ja – weil sie zu Romanen werden, im Sinne des alten Romanbegriffs. Die Serien werden Romane - und viele aktuelle Romane sind es nicht mehr.

 

Werden Videospiele immer besser?

 

Sie werden immer epischer, narrativer… romanhafter.

 

Wird Literatur immer besser?

 

Sie wird immer… verästelter.

 

Ein Buch, von dem du wünschst, es wäre nie geschrieben worden?

 

Wer könnte Richter sein, um das zu beurteilen? Nein.

 

Stell dir vor, Zeitreisende würden ein Buch aus der Geschichte löschen wollen – und dein Tod könnte das Buch retten. Für welches Buch würdest du sterben, damit es nicht gelöscht wird?

 

Etwas sehr Frühes: Homer? Die Odyssee – die den Ursprung der Literatur mitbestimmte.

 

Was wäre schlimmer: Falls morgen alle Musik verboten wird… oder alle Bücher?

 

Musik würde mehr Menschen fehlen.

 

Schreibt dein Partner?

 

Nein.

 

Hast du schonmal ein Buch abfotografiert und online gepostet?

 

Ja. (lacht) Und nicht nur die eigenen!

 

Rezensierst du Bücher?

 

Ja.

 

Hattest du gute Deutschlehrer?

 

Ja, an der Handelsakademie – dort war Deutsch gar kein Schwerpunkt. Aber der Deutschlehrer dort war großartig.

 

Hattest du mehr gute als schlechte Deutschlehrer?

 

Ich hatte nur zwei, aber sie waren beide gut.

 

Hattest du mehr gute als schlechte Lehrer überhaupt?

 

Ich hatte viele, denen man verbieten hätte sollen, als Lehrer zu arbeiten.

 

Hast du schonmal einen Manga gelesen?

 

Ja.

 

Hast du einen Lieblings-Superhelden?

 

Es gibt so viele, die ich mag. Bei den Frauen: Wonder Woman. Bei den Männern… Ant-Man?

 

Scott Lang? Oder den ersten – Hank…?

 

Hank Pym, ja.

 

Hast du heute schon jemanden gesehen, den du nicht magst?

 

Nein.

 

Sind Autorinnen und Autoren im Schnitt hübscher als Alltagsmenschen auf der Straße?

 

Ganz gewiss nicht.

 

Sind sie im Schnitt gepflegter?

 

Sie sind wortgewandter – in Worte gewandet!

 

Hast du dich schonmal auf ein Stipendium beworben?

 

Ja.

 

Verbringst du mehr Zeit mit Lesen als im Internet?

 

Im Internet!

 

Hast du einen Nobelpreis-Favoriten?

 

Ich würde es Ann Carson sehr gönnen: Sie schreibt Versromane.

 

Kennst du einen deutschen lebenden AutorIN, der oder die den Nobelpreis verdient?

 

Mich eingeschlossen?

 

In welchem Kultur-/Sprachraum entdeckst du die meiste Literatur?

 

Im mitteleuropäischen.

 

Gibt es aktuell schlechte Bücher, über die du nicht öffentlich sagst, dass sie schlecht sind, um eine andere Person nicht zu verletzen oder beruflich zu schaden?

 

Es gibt durchaus welche, die ich nicht mag.

 

Hast du die „Hunger Games“ gelesen oder gesehen?

 

Zwei Filme gesehen – hat mir nicht gefallen.

 

Twilight“?

 

Einen Film gesehen – hat mir nicht gefallen.

 

Harry Potter?“

 

Ungefähr zwei Filme gesehen – hat mir nicht gefallen.

 

Hast du heute schon Fotos gemacht und irgendwo geteilt?

 

Heute nicht. Gestern!

 

Gibt es Autoren, von denen du jedes neue Buch liest?

 

Ja. Peter Handke. (überlegt) Kevin Vennemann!

 

Leihst du aktuell Bücher in Bibliotheken?

 

Ja.

 

Bist du unter dem Weihnachtsbaum die größte Leseratte?

 

Definitiv.

 

Was war deine bisher schönste Lesung?

 

Die von gerade eben. Es ist immer die letzte – aber die Lesungen hier waren super!

 

Und was war am schlimmsten an deiner schlimmsten?

 

Das Mikro ging nicht. Es kamen keine Leute. Nichtmal der Buchhändler, der den Büchertisch betreuen sollte, war da. Ich war allein. Es gab auch keinen Strom, glaube ich.

 

Liest du zu wenig?

 

Ich lese recht wenig – meist lese ich zur Recherche.

 

Fehlt dir die Zeit, die du durchs Lesen brauchst, anderswo?

 

Würde ich mehr lesen, würde ich weniger schreiben.

 

Hättest du deinen Alltag besser im Griff, wenn du noch weniger lesen würdest?

 

Nein: Dann würde ich noch mehr schreiben – und hätte deshalb meinen Alltag noch weniger im Griff.

 

Deine deutsche Lieblingsstadt?

 

Hamburg.

 

Der schönste Ort, an dem du gelebt hast?

 

Das waren so viele Orte. Sydney. Und Kopenhagen.

 

Schweiz oder Österreich?

 

Österreich.

 

Twitter oder Facebook?

 

Facebook.

 

Verdienst du so viel, wie du wert bist?

 

Niemals.

 

Kennen dich so viele Leute, wie dich kennen sollten?

 

Niemals.

 

Hat du Angst um deine(n) Job(s)? 

 

Es gibt schon manchmal Existenzangst, ja.

 

Nenn einen guten kleinen Verlag.

 

kookbooks.

 

Glaubst du, in den nächsten zehn Jahren wird in der (deutschen) Buchbranche mehr sterben als neu wachsen?

 

Es verändert sich viel. In Österreich gibt es so viel staatliche Förderung… fiele die Weg, stirbt die Hälfte der Verlage dort aus.

 

Sind Graphic Novels Literatur?

 

Ja. Absolut.

 

Ein Buch, das dich zum Weinen gebracht hat?

 

Moby Dick.

 

Von welchem Autor hast du am meisten gelernt?

 

Für einen, für den ich mal das Glück hatte, zu arbeiten: Jiří Gruša

 

Sind deine Eltern reich?

 

Nein.

 

Sind deine Eltern reicher als du?

 

Nein. Lacht.

 

Sind deine Eltern gebildet?

 

Hm. Nein.

 

Sind deine Eltern gebildeter als du?

 

Nein.

 

Liest dein Vater?

 

Nein.

 

Liest dein bester Freund?

 

Ja.

 

So viel wie du?

 

Nein.

 

Liest dein Partner so viel wie du?

 

Nein.

 

Kennst du eine Fernsehserie, die mehr mit dir gemacht hat als viele Romane?

 

The Walking Dead“

 

Was wäre dein Traum-Land für eine Lesung?

 

Eine Insel. Hawaii! Oder Japan.

 

Gibt es einen Literaturblog, den du regelmäßig liest?

 

Leider nein.

 

Gibt es Kritiker, denen du vertraust?

 

Daniela Strigl.

 

Darf jeder wissen, welche Bücher du gelesen hast?

 

An sich ja.

 

Darf jeder wissen, welche Bücher du nicht gelesen hast?

 

Auch das.

 

Hat dich schon mal eine Szene in einem Buch sexuell erregt?

 

Pffff… gute Frage. Wahrscheinlich als Jugendlicher - „Dracula“ oder sowas. Bram Stoker. Keine Ahnung.

 

Liest du eine feste Tageszeitung?

 

Den Standard.

 

Sind Bücher aktuell eher hübsch oder eher abstoßend gestaltet?

 

Aus meiner Sicht: abstoßend. Ich mag grafische Cover, ich bin kein Freund von Foto-Covern. Aber die Zeit ist gegen grafische Gestaltung.

 

Ist Lesen wichtig für Kinder?

 

Unbedingt! Von frühester Kindheit an.

 

Ist Literaturlesen für Erwachsene wichtig?

 

Bedingt: Es eröffnet Möglichkeiten – falls man das Wagnis eingeht, die Hand zu ergreifen, die Literatur uns bietet.

 

Hast du eine Liste von Büchern, die du lesen willst?

 

Ja. Sie stehen in meiner Bibliothek.

 

Über welches Buch sollte jeder sprechen?

 

Ach… ich finde, Kafka sollte jeder gelesen haben, jeder sollte etwas darüber zu sagen wissen: als Beginn der Moderne, Beginn des Surrealismus…

 

Liest du Jugendbücher?

 

Nein.

 

Hast du im letzten Jahr eine(n) nicht-weißen AutorIN gelesen?

 

Ich glaube nicht. Ich lese nicht wahnsinnig viel.

 

Liest du mehr Männer als Frauen?

 

Wahrscheinlich, ja.

 

Soll ich dir lieber zehn Bücher von Männern schenken als zehn Bücher von Frauen?

 

Gern gemischt natürlich. An sich ist das nicht wichtig.

 

Kennst du lesbische Autorinnen? Wen?

 

Ich könnte nicht mal sagen, ob jemand meiner 1000 Facebook-Freunde lesbisch ist.

 

Bist du mit einem Autor bekannt, dessen Buch du schlecht findest?

 

Joa.

 

Nenn ein Buch, das tröstet oder inspiriert.

 

Ich mag Lyrik. Das ist die Ecke, aus der ich herkomme. Uljana Wolf: „Meine schönste Lengevitch“.

 

Hast du schon einen self-published Author gelesen?

 

Nein. Vielleicht im universitären Bereich.

 

Soll ich dir lieber EIN gutes Buch nennen oder sagen, welche zehn aktuellen Bücher du dir sparen kannst?

 

Ein gutes.

 

Worüber wird zu wenig gesprochen im Literaturbetrieb?

 

Über die Hintergründe und Mechanismen, die bestimmen, wie sich die Buchbranche zusammensetzt. Zum Beispiel, wie viel Macht Verlagsvertreter bei Cover-Entscheidungen haben: Wir reden zu wenig über die Entmachtung der Autoren in den Verlagen.

 

Hast du ein wichtiges Buch gefördert oder daran mitgeschrieben?

 

Ja – ich habe ganz vielen jungen Kollegen geholfen. Viele sind mittlerweile verlegt.

 

Gibt es einen Verlag, dessen Konkurs dich freuen würde?

 

Grundsätzlich nein – weil ja ein [erschienenes] Buch besser ist als sein Nicht-Erscheinen: Die Bücher binden destruktive Kräfte.

 

Sind diese Fragen „fies“?

 

Nein.

 

Hast du dir heute schon ein Buch gemerkt? Welches?

 

Nein.

 

Hat man dir heute schon ein Buch geschenkt, geschickt oder versprochen?

 

Boris aus dem Sprachsalz-Team hat mir Joachim Zelters „Die Würde des Lügens“ geschenkt.

 

Welcher andere Autor hat dich am meisten überrascht?

 

Patrik Ouředník.

 

Nein, hier: Von den Festival-Autoren.

 

Jón Gnarr: Mich hat überrascht, wie gut sein Text ist – so literarisch schön und komprimiert. Damit hätte ich nicht gerechnet.

 

Wer sollte das nächste Mal hier sein?

 

 

Unbedingt Kevin Vennemann und Uljana Wolf.

 


 

STEFAN MESCH schreibt als Kritiker und Literaturexperte für die ZEIT, Deutschlandradio Kultur und den Berliner Tagesspiegel. Bis 2008 studierte er Kreatives Schreiben & Kulturjournalismus in Hildesheim. Als Liveblogger begleitet er Lesungen, Literaturfestivals, Tagungen, z.B. den Open Mike oder die Buchmessen in Frankfurt und Leipzig. Er lebt in Berlin und Eppingen und arbeitet an seinem ersten Roman, "Zimmer voller Freunde".

 

mehr im Blog: www.stefanmesch.wordpress.com

und auf Instagram, Facebook und Twitter

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