fiese Fragen... an Safiye Can

 

Ein Liveblog führen, während einer großen Veranstaltung - und dabei Zeit finden für lange Interviews? Zur Leipziger Buchmesse 2015 bloggte, berichtete ich für Deutschlandradio Kultur - und stellte einen Fragebogen zusammen, der wenig Raum für weitschweifige Antworten lässt: kurze, schnelle, oft fiese Fragen, die ich u.a. Verlegerinnen, Journalisten und Buchbloggern stellte.

 

Sprachsalz ist eine tolle Gelegenheit, mehrere Autorinnen und Autoren zu befragen - darüber, was und wie sie lesen, was ihnen wichtig ist, womit sie hadern. Schnelle, aber intensive Gespräche.

 

Den Anfang macht Safiye Can. 


Foto: Denis Mörgenthaler
Foto: Denis Mörgenthaler

Safiye Can

Safiye Can (Foto: Jaques Fleury-Sintes)
Safiye Can (Foto: Jaques Fleury-Sintes)

Lebt in Frankfurt/Main

 

«Wie viel anderes soll eine Dichterin noch sein, wenn sie eine Dichterin ist?» fragt Safiye Can, in ihrem Band Rose & Nachtigall, in dem sie – ganz Dichterin – auf das alte Motiv der Diwan-Literatur, Rose und Nachtigall (das im türkischen Original den klingenden Namen «gül ile bülbül» trägt) zurückgreift und in die Gegenwart überträgt: «Unterwegs lese ich durchnässte Träume auf/und hänge sie an die Wäscheleine/in meinem Herzen das Herz einer Nachtigall/weiß

nicht, wohin die Lebensleiter anlegen/wohin mit Händen und Füßen/an welches Postfach/die Enttäuschung adressieren.»

In Offenbach am Main ist sie als Kind tscherkessischer Eltern geboren, ihre erste Muttersprache war das Türkische, in der Schule lernte sie Deutsch und begann bald, Gedichte zu schreiben. Ihre Texte leben von einem­ mutigen Bilderreichtum und zeigen, dass Heimat, auch die sprachliche, nicht auf einen einzigen Ort reduziert sein muss: «Vielleicht ist Heimat eine Zeile Kurt Cobain/ein Vers Attilâ Ilhan / eine tausendjährige Sehnsucht, ergraut das Haar / der Regenduft auf dem Ackerland/ein Blick aus dem Fenster, schwarzweiß/ein Furchenweg mit Laub am Herbsttag/oder Onkel ­Cemil mit Wollmütze, wenn er lacht.»

UW

 

Bücher-Auswahl:

«Rose und Nachtigall» Gedichte 2014, «Diese Haltestelle hab ich mir gemacht» Gedichte 2015 beide Verlag Größenwahn, «Das Halbhalbe und das Ganzganze» Kurzgeschichte 2014 Verlag Literatur Quickie.

www.safiyecan.de


 

 

Was liest du gerade?

 

Hilde Domin, „Im Vorbeigehn“

Liest du gerade Ebooks?

 

Nein.

 

Nenn mir ein Buch, das du liebst.

 

Vor allem türkischsprachige Lyrik – deswegen übersetze ich sie auch: Orhan Veli, Cemal Süreya, Turgut Uyar.

 

Hast du ein Familienmitglied, dessen Leben ein guter Roman wäre?

 

Das sind ja alle unsere Familienmitglieder: Sie haben so viel erlebt!

 

Sind Bücher dein Lieblingsmedium?

 

Lyrik ist mein Lieblingsmedium. Auch konkrete Poesie, visuelle Poesie… aber natürlich auch Musik: Sie arbeitet ja auch mit Rhythmus.

 

Werden TV-Serien immer besser?

 

(lacht) Kontinuierlich schlechter!

 

Werden Videospiele immer besser?

 

Da kenne ich mich leider nicht aus.

 

Wird Literatur immer besser?

 

Es gab schon immer gute Literatur, wie wir sie auch in zeitgenössischer finden. Aber Lyrik wird seinen großen Boom noch erleben. Wir stehen unmittelbar davor!

 

Ein Buch, von dem du wünschst, es wäre nie geschrieben worden?

 

Sarazzins faschistoide Bücher. Aber ich wünsche mir viel mehr, sie wären nie gekauft worden. Dass es geschrieben wurde ist nicht so schlimm wie die Tatsache seiner großen Leserschaft.

 

Stell dir vor, Zeitreisende würden ein Buch aus der Geschichte löschen wollen – und dein Tod könnte das Buch retten. Für welches Buch würdest du sterben, damit es nicht gelöscht wird?

 

Nâzım Hikmet. Vielleicht alle Lyriker, die ich übersetzt habe. Und alles von Albert Camus wäre es wohl auch wert.

 

Was wäre schlimmer: Falls morgen alle Musik verboten wird… oder alle Bücher?

 

Für mich persönlich: Bücher. Für die Welt Musik – weil sie mehr Menschen verbindet.

 

Schreibt dein Partner?

 

(lacht) Welcher?

 

Hast du schonmal ein Buch abfotografiert und online gepostet?

 

Ja. Viele!

 

Rezensierst du Bücher?

 

Machte ich nie, nein.

 

Hattest du gute Deutschlehrer?

 

Nein.

 

Hattest du mehr gute als schlechte Lehrer überhaupt?

 

Mehr schlechte. Auch rassistische.

 

Hast du schonmal einen Manga gelesen?

 

Nein – aber ich habe mir Manga-Ohren bestellt, nach der Leipziger Buchmesse: Katzenohren, lila und plüschig. Ich sah Cosplayer auf der Messe und wusste: Die brauche ich auch! (lacht)

 

Hast du einen Lieblings-Superhelden?

 

Meine Helden sind die Dichter, die mir Wege gezeigt, Türen geöffnet haben – auch politisch. Aktuell: Auch alle Menschen, die sich für Tierschutz einsetzen, zum Beispiel in der Animal Liberation Front.

 

Hast du heute schon jemanden gesehen, den du nicht magst?

 

Nein.

 

Sind Autorinnen und Autoren im Schnitt hübscher als Alltagsmenschen auf der Straße?

 

(lacht)

 

Sind sie im Schnitt gepflegter?

 

Wer auf der Bühne steht, achtet in der Regel auch darauf, gepflegt zu erscheinen.

 

Hast du dich schonmal auf ein Stipendium beworben?

 

Nein.

 

Verbringst du mehr Zeit mit Lesen als im Internet?

 

Ich verbringe mehr Zeit mit literarischer Arbeit. Aber die findet auch online statt.

 

Hast du einen Nobelpreis-Favoriten?

 

Nein – aber ich würde den Preis einer Poetin oder einem Poeten gönnen.

 

In welchem Kultur-/Sprachraum entdeckst du die meiste Literatur?

 

Im deutschen und im türkischen.

 

Gibt es aktuell schlechte Bücher, über die du nicht öffentlich sagst, dass sie schlecht sind, um eine andere Person nicht zu verletzen oder beruflich zu schaden?

 

Ja.

 

Hast du die „Hunger Games“ gelesen oder gesehen?

 

Nein.

 

Twilight“?

 

Das ist ein Film – oder?

 

Harry Potter?“

 

Gesehen und reingelesen, ja.

 

Hast du heute schon Fotos gemacht und irgendwo geteilt?

 

Ja: Veranstaltungsfotos, auf Facebook.

 

Leihst du aktuell Bücher in Bibliotheken?

 

Ja! Ich habe nicht so viel Geld, wie ich für Bücher, die ich lese, bräuchte: Ich habe eine große Bibliothek, doch ich habe sicher das 15fache von dem, was ich kaufte, ausgeliehen.

 

Bist du in der Familie die größte Leseratte?

 

Zusammen mit meiner Tante und ihrem Mann, ja.

 

Was war deine bisher schönste Lesung?

 

Einige! Ich kann mich nicht auf eine festlegen.

 

Und was war am schlimmsten an deiner schlimmsten?

 

Bei einer meiner allerersten Lesungen – in der Stadtbibliothek Offenbach – las ich eine Kurzgeschichte vor, blätterte an der spannendsten Stelle zum letzten Blatt um und musste feststellen, dass die letzte Seite nicht ausgedruckt wurde: Ich hatte das Ende meiner Geschichte nicht dabei.

 

Liest du zu wenig?

 

Kommt darauf an: Ich würde gerne noch mehr lesen – aber die Lebenszeit ist eben begrenzt.

 

Fehlt dir die Zeit, die du durchs Lesen brauchst, anderswo?

 

Für die Pflege von Freundschaften, ja.

 

Hättest du deinen Alltag besser im Griff, wenn du noch weniger lesen würdest?

 

(lacht) Ich weiß nicht: Habe ich meinen Alltag überhaupt im Griff?

 

Deine deutsche Lieblingsstadt?

 

Offenbach am Main.

 

Der schönste Ort, an dem du gelebt hast?

 

Oxford.

 

Schweiz oder Österreich?

 

Weiß ich nicht: Ich würde dort gern lesen – aber bisher hat mich leider keiner gerufen. Ich nehme… die Schweiz?

 

Twitter oder Facebook?

 

Facebook.

 

Verdienst du so viel, wie du wert bist?

 

Nicht im geringsten! (lacht)

 

Kennen dich so viele Leute, wie dich kennen sollten?

 

Das weiß ich nicht.

 

Hat du Angst um deine(n) Job(s)? 

 

Existenzangst habe ich. Ja!

 

Nenn einen guten kleinen Verlag.

 

Der ELIF Verlag.

 

Glaubst du, in den nächsten zehn Jahren wird in der (deutschen) Buchbranche mehr sterben als neu wachsen?

 

Die Zahl der Publikationen wächst. Aber es wird vor allem mehr Schrott verlegt.

 

Sind Graphic Novels Literatur?

 

Sie sind Graphic Novels. Ich liebe sie! (überlegt) Doch: ja.

 

Ein Buch, das dich zum Weinen gebracht hat?

 

Ich überlege. Bei meinem letzten Film wüsste ich die Antwort sofort: „Ein Mann namens Ove“

 

Von welchem Autor hast du am meisten gelernt?

 

Ich finde dieses ultimative Vergöttlichen schwierig: Ich habe vor allem aus der Lyrik gelernt und aus der Philosophie. Diese zwei, im Zusammenspiel: Das sind meine Grundsteine.

 

Liest dein bester Freund?

 

Ja. Er ist auch Autor: Hakan Akçit.

 

Kennst du eine Fernsehserie, die mehr mit dir gemacht hat als viele Romane?

 

Nein.

 

Was wäre dein Traum-Land für eine Lesung?

 

Jedes.

 

Gibt es einen Literaturblog, den du regelmäßig liest?

 

Ich kenne mich nicht genug aus, bei Literaturblogs.

 

Gibt es Kritiker, denen du vertraust?

 

Michael Starcke ist leider verstorben.

 

Darf jeder wissen, welche Bücher du gelesen hast?

 

Ja.

 

Darf jeder wissen, welche Bücher du nicht gelesen hast?

 

Ja! Als könnte man alles lesen…!

 

Hat dich schon mal eine Szene in einem Buch sexuell erregt?

 

(lacht) Solche Bücher lese ich nicht.

 

Liest du eine feste Tageszeitung?

 

Ich lese eine feste Literaturzeitschrift: die horen. Bei Tageszeitungen: Die Offenbach-Post und die Frankfurter Rundschau.

 

Sind Bücher aktuell eher hübsch oder eher abstoßend gestaltet?

 

Ich glaube, vor allem die großen Verlage bemühen sich da null.

 

Ist Lesen wichtig für Kinder?

 

Ja! Unbedingt.

 

Ist Literaturlesen für Erwachsene wichtig?

 

Ja! Ungemein.

 

Genauso wichtig wie für Kinder? Ist Lesen in jedem Alter gleichbleibend wichtig?

 

Ja.

 

Hast du eine Liste von Büchern, die du lesen willst?

 

Ich habe einen Stapel von Büchern daheim, die darauf warten, gelesen zu werden.

 

Liest du Jugendbücher?

 

Ich kaufte und las eine Weile Kinderbücher, um ihre Struktur, den Aufbau zu recherchieren und herauszufinden, ob ich in diesem Genre schreiben möchte.

 

Hast du im letzten Jahr eine(n) nicht-weißen AutorIN gelesen?

 

Ich sehe die Hautfarbe nicht... (überlegt) Ja.

 

Soll ich dir lieber zehn Bücher von Männern schenken als zehn Bücher von Frauen?

 

Wenn ich die Auswahl treffen kann: Frauen! Wir schreibenden Frauen sind in der Minderheit, deshalb interessieren sie mich umso mehr.

 

Kennst du lesbische Autorinnen? Wen?

 

Ja – aber ich weiß nicht, ob sie ein Coming-Out hatte.

 

Bist du mit einem Autor bekannt, dessen Buch du schlecht findest?

 

(lacht) Ja.

 

Nenn ein Buch, das tröstet oder inspiriert.

 

Man ist irgendwann, in einem gewissen Alter, so voller Erfahrungen, dass man sich vielleicht selbst mit dem eigenen Schreiben, der eigenen Literatur tröstet.

 

Hast du schon einen self-published Author gelesen?

 

Ja.

 

Soll ich dir lieber EIN gutes Buch nennen oder sagen, welche zehn aktuellen Bücher du dir sparen kannst?

 

Zehn, die ich mir sparen kann: Meine Zeit ist im Moment sehr arg begrenzt.

 

Worüber wird zu wenig gesprochen im Literaturbetrieb?

 

Über gute Gedichte. Und es wird viel zu wenig darüber gesprochen, was großartige Autorinnen und Autoren mit Migrationshintergrund für die deutschsprachige Literatur leisten. Man scheint sich gar nicht bewusst zu sein, wie wichtig es ist, dass diese Autoren in der Originalsprache Deutsch schreiben.

 

Hast du ein wichtiges Buch gefördert oder daran mitgeschrieben?

 

Ich empfehle oft gute DichterInnen weiter – auch an Verlage.

 

Gibt es einen Verlag, dessen Konkurs dich freuen würde?

 

Nein.

 

Sind diese Fragen „fies“?

 

Das kommt darauf an, wie du das Wort „fies“ definierst. (lacht) Ich habe Philosophie studiert!

 

Hast du dir heute schon ein Buch gemerkt? Welches?

 

Christoph Simons Bücher will ich unbedingt lesen!

 

Hat man dir heute schon ein Buch geschenkt, geschickt oder versprochen?

 

Ich habe heute nach meiner Lesung ein Buch von Gerhard Rühm persönlich bekommen. Er saß im Publikum, und das Buch ist auch liebevoll signiert. Das hat mich sehr gerührt. Den heutigen Tag behalte ich in guter Erinnerung.

 

Welcher andere Autor hier auf dem Festival hat dich am meisten überrascht?

 

Jón Gnarr und Christoph Simon. Und immer wieder Rühm mit der Gattin Monika Lichtenfeld.

 

Wer sollte das nächste Mal hier sein?

 

Gute Dichterinnen – die den Laden rocken!

 

Foto: Denis Mörgenthaler
Foto: Denis Mörgenthaler

 

STEFAN MESCH schreibt als Kritiker und Literaturexperte für die ZEIT, Deutschlandradio Kultur und den Berliner Tagesspiegel. Bis 2008 studierte er Kreatives Schreiben & Kulturjournalismus in Hildesheim. Als Liveblogger begleitet er Lesungen, Literaturfestivals, Tagungen, z.B. den Open Mike oder die Buchmessen in Frankfurt und Leipzig. Er lebt in Berlin und Eppingen und arbeitet an seinem ersten Roman, "Zimmer voller Freunde".

 

mehr im Blog: www.stefanmesch.wordpress.com

und auf Instagram, Facebook und Twitter

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