Autor*INNen 2020


Deborah Feldman

Deborah Feldman ©Alexa Vachon
Deborah Feldman ©Alexa Vachon

Lebt in Berlin

 

Schon die Originalausgaben der literarischen Überlebensprotokolle «Unorthodox» und «Überbitten» von Deborah Feldman wurden innerhalb kürzester Zeit zu Bestsellern; die soeben mit acht Emmys nominierte Verfilmung brachte einmal mehr diese fast unglaubliche Geschichte ins Gespräch: Feldman, die heute in Berlin lebt, beschreibt darin ihren Ausstieg aus einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde in New York. Und ihre Flucht, mit der sie nicht nur ihren Glauben hinter sich lässt, sondern sich zugleich auf eine philosophisch-analytische Spurensuche nach der eigenen Identität quer durch Europa begibt.

 

Der rare Einblick in eine patriarchale, hermetisch abgeschlossene Gemeinschaft mitten unter uns schockiert, fesselt und berührt. Diese Geschichte alleine wäre schon bemerkenswert genug. Der Mut, den es braucht, sich von dieser Vergangenheit zu befreien, ebenso. Was aber die Bücher so außergewöhnlich macht ist die ebenso mutige Perspektive, die Deborah Feldman nie verlässt: Präzise in der Eigenwahrnehmung, ohne Nabelschau zu betreiben. Offen für intime und detailreiche Schilderungen, dabei stets empathisch gegenüber dem Beschriebenen. Und so gelingt in dieser faszinierenden Emanzipation immer auch die Gratwanderung zwischen kritischer Distanz und Respekt vor der religiösen Tradition.

 

 VB

 

Bücher

«Unorthodox» 2016; «Überbitten» 2017, beide erschienen übersetzt von Christian Ruzicska im Secession Verlag

www.deborahfeldman.de

 


Lawrence Ferlinghetti

Lawrence Ferlinghetti © M. Kauz
Lawrence Ferlinghetti © M. Kauz

Lebt in San Francisco

Lawrence Ferlinghetti ist einer der letzten lebenden zentralen Figuren der legendären Beatgeneration. Diese Boheme-Bewegung wirbelte in den Fünfzigerjahren die US-amerikanische Kunstszene mit ihrer Frische und Wildheit durcheinander.
Vergangenes Jahr beging Ferlinghetti seinen hundertsten Geburtstag. Aus diesem Anlass erschien sein Buch «Little Boy», aus dem er auch heuer bei Sprachsalz vortragen wird. Es ist ein Buch der Erinnerung und vor allem der Begegnungen mit Künstler*innen, die für ihn und sein umfangreiches Werk bedeutend sind.


Ferlinghetti wurde 1919 in New York geboren, verbrachte den Großteil seiner Jugend in Frankreich, schloss sein Studium an der Pariser Sorbonne ab. Seit 1951 hat er seinen Wohnsitz in San Francisco, war zeitlebens aber ein Reisender in allen Teilen der Erde.


Das Beat-Movement prägte er nicht nur als Autor, sondern auch als Mitbegründer des sagenhaften City Light Verlages, in dem alle Größen der Beatliteratur publizierten (Kerouac, Ginsberg, Corso, Kaufman).

Als Autor wurde er mit seinem Frühwerk «Coney Island of the Mind» berühmt, in dem er das Leben der Menschen mit einem Ringelspiel verglich. Davon verkauften sich mehr als eine Million Exemplare.
Der Schreiber dieser Zeilen hatte das große Glück Ferli, wie ihn seine Freunde nennen, mehrmals in San Francisco zu begegnen. Einmal saßen wir zum Frühstück im «Ramp» (siehe S. 6), einem Cafe in der Bay. Ferli hatte sich gerade von seiner langjährigen Freundin getrennt. Die Beziehung wäre ihm zu langweilig geworden, sagte er, bereits hoch in den Neunzigern. 


«Ich wünschte, ich hätte Ferlinghettis grenzenlose, genussvolle authentische Kraft», schrieb Kerouac einmal über seinen Freund.

ES

 



Bücher: «Little Boy» 2019 Roman Schöffling (übers. von Ron Winkler) «Das Licht von Big Sur und weitere Gedichte» 2007 altaQuito; «Ein Coney Island des Bewußtseins» Gedichte 2001 Stadtlichter Presse; «Gedichte» 1980 Hanser; «Ausgewählte Gedichte» 1972 Diogenes; «Sie» Roman 1963 Limes.



Jack Hirschman

Jack Hirschman © sprachsalz
Jack Hirschman © sprachsalz

Lebt in San Francisco

 

Jack Hirschman, geb. 1933, ist in der Bronx aufgewachsen. Seine Vorfahren haben einen jüdisch-russischen Hinter­grund. Nach dem Studium schlug er eine akademische Laufbahn ein, wobei für ihn die Arbeit als Dichter und politischer Aktivist stets im Mittelpunkt stand. Er pflegte zwar enge Kontakte zu Beat­autoren wie Allen Ginsberg oder Charles Bukowski., aber als Poet wurde er von den politischen Dichtern wie Majakowski, Neruda oder Depestre geprägt. Mit seiner Poesie hat er sich immer auf die Seite der Schwachen und Benachteiligten in der Gesellschaft gestellt. So wird er auch bei der Sprachsalz Lesung aus seinem Band «Wer trägt Sorge», erschienen in der Edition BAES, vortragen, in dem er sich dieser Thematik feinfühlend annimmt.
Obwohl er sich noch heute zum Kommunismus als Gesell­schafts­form bekennt (nicht gerade förderlich für eine Karriere in den Vereinigten Staaten), war er viele Jahre poeta laureata von SF. Der San Francisco Chronicle schrieb über ihn: «Hirschman ist ein ebenso sanfter wie harter Bursche mit einer stählernen Faust in seinem Samthandschuh.»    
Er hat mehr als 100 Bücher publiziert und übersetzte Texte aus 13 Sprachen ins Englische. Sein Hauptwerk sind die «Arcanes», an denen er seit vierzig Jahr arbeitet. Die Arcanes sind Gedichte, in denen Jack die Wahrheiten des Daseins aus dem Dunkel ans Licht bringen will. Inzwischen liegen zwei Bände vor, die beide über 1000 Seiten umfassen. «Eine literarische Zumutung», meinte eine Kritikerin.
    

ES

 



Bücher: «Who cares» Gedichte deutsch/englisch 2012 Edition Baes, Zirl (übers. von Jürgen Schneider); «Das sowjetische Ehrenmal Arkanum» Gedichte in 13 Sprachen 2015 Edition Baes, Zirl; «All that‘s left» 2008 City Lights San Francisco; «The arcanes» 2006 Multimedia Salerno, Italy; «Only dreaming sky: poems» 2007 Manic D Press San Francisco; «Front lines: selected poems» 2002 City Lights San Francisco.


Daniel Kehlmann

Daniel Kehlmann © Beowulf Sheehan
Daniel Kehlmann © Beowulf Sheehan

 Lebt in Berlin

 

«Ich habe keine Ahnung.» Wer so seine Poetikvorlesungen beginnt, wie das Daniel Kehlmann im Jahr 2009 tat, weiß genau, was er tut. Und dass er Ahnung hat. Vor allem wenn er als Titel «Diese sehr ernsten Scherze» darüber setzt. Wer keine Ahnung hat, wer Kehlmann ist, der hat noch nie eine Buchhandlung betreten, ist in der Bim, am Bahnhof, am Flughafenterminal niemals jemandem begegnet, der gebannt «Tyll» las oder «F» oder «Die Vermessung der Welt», den Weltbestseller um den Weltreisenden Alexander von Humboldt. Dass Kehlmann 1997, im Alter von 22 (!) Jahren, mit einem Roman über einen Zauberer debütierte, verwundert rückblickend nicht im Ge­ringsten. Denn mit jedem der folgenden Prosabände, dem kunstvollen Künstlerroman «Ich und Kaminski» etwa, mit Theaterstücken und jüngst einem preisgekrönten TV-Dreh­buch, verzauberte er mehr und mehr die (nicht nur) lesende Welt. Und in der denkenden gehört er, in München geboren, in Wien aufgewachsen, zwischen Berlin und den USA pendelnd, doch mittlerweile zur ersten Riege nicht nur der jüngeren deutschsprachigen Intellektuellen. So begann er logischerweise 2014 eine neuere Poetikvorlesung, diesmal in Frankfurt am Main, mit – Peter Alexander.
    

AK



 

Bücher: «Vier Stücke» 2019; «Tyll» Roman 2017; «Kommt, Geister. Frankfurter Poetikvorlesungen» 2015; «F» Roman 2013, «Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten» 2009; «Die Vermessung der Welt» Roman 2005 alle Rowohlt.


A. L. Kennedy

A. L. Kennedy © Yves Noir
A. L. Kennedy © Yves Noir

Lebt in Wivenhoe (GB)

 

Irgendjemand meinte einmal, A.L. Kennedy sei etwas für Leser und Leserinnen, die bereits mit vier Jahren schwarze Kleidung getragen hätten: das ist wirklich traurig und zugleich im Traurigen sehr, sehr komisch und trifft Kennedys Art zu Schreiben und mit Stoffen umzugehen dennoch ganz genau.


ALK, wie sie sich selbst bezeichnet, ist unbestritten eine der wichtigsten zeitgenössischen Schriftstellerinnen Groß­britanniens. Sie schreibt über die großen Themen Liebe, Schuld und Angst, in ihren Kolumnen in der Süddeutschen Zeitung thematisiert sie Großbritannien in der Epoche des Brexit. Schimmernd haben manche ihre Prosa bezeichnet, andere stilsicher, präzise, klug und lakonisch. Ihre Kolumnen sind entlarvend und schneidend wie eine Obsidianklinge. Als «europäische Antwort auf Thomas Pynchon und die Antwort des weiblichen Geschlechts auf die Idee lebensvernichtender Kunsterzeugung» bezeichnet die ZEIT die mit Preisen über­häufte Kennedy, die in ihrem (unbedingt lesenswerten) Essayband «Schreiben» meint: «Wenn ein Mensch schreiben will, lässt er sich nur davon abhalten, wenn man ihn bis zu einem gewissen Grad umbringt.»    

Nichts und niemand soll sie abhalten, die digitale Sprachsalzbühne 2020 zu betreten: Onwards!     

 

UW



Bücher: «Süßer Ernst» Roman 2018 Hanser Verlag (übers. von Ingo Herzke u. Susanne Höbel); «Leises Schlängeln» Erzählung 2016 Karl Rauch Verlag; «Der letzte Schrei» Erzählungen 2015; «Schreiben» Blogs & Essays 2013; «Das blaue Buch» Roman 2012; «Alles, was du brauchst» Roman 2002; alle übers. von Ingo Herzke im Hanser Verlag.

www.a-l-kennedy.co.uk


Ben Lerner

Ben Lerner © catherine barnett
Ben Lerner © catherine barnett

Lebt in Brooklyn, New York

 

«Genuss ist eine ungemein schlechte Erfahrung, sagte / mein Vater gern unter Wasser.» Das ist eine von vielen feinintelligenten Formulierungen im Gedichtband «Die Lichtenbergfiguren» von Ben Lerner. Im Jahr 2011 wurde er für diese Suite mit 52 kunstvoll eingängigen Sonetten als erster US-amerikanischer Dichter mit dem Internationalen Poesiepreis der Stadt Münster gekürt. 1979 in Topeka/Kansas geboren, in Topeka/Kansas aufgewachsen (und seit Jahren Professor für Englische Literatur am Brooklyn College der City University of New York) heißt Ben Lerners jüngster Roman irgendwie naheliegend «Die Topeka Schule». Dessen Hauptfiguren: der Schriftsteller Adam Gordon, bekannt aus Lerners supersmartem Debütroman «Abschied von Atocha», und seine Eltern, beide Psychiater. Die späten 1990er Jahre in Topeka/Kansas, USA: ein famoses, sprachlich glänzendes Panorama von Gesellschaft und Ich, Gesellschafts­auflösung und Ich-Zerfall, sozialen und psychischen Abgrün­den, ideologischen Weltsichten und gründlich festgezurrten Klischees, auf den Hochgraten der Sprache sich abspielend – ein feinziseliertes Spitzen-Spiel, das erzählende Literatur immer war, es bei Lerner ist und bei ihm bewusst leicht immer sein wird. Denn: «Hupen Sie, wenn Sie wünschten, alle schwierigen Gedichte wären tief.»    

 

AK

 

Bücher: «Die Topeka Schule» Roman 2020 Suhrkamp Verlag; «Schnee über Venedig» (mit Alexander Kluge) 2018 Spector; «22:04» Roman 2016 Rowohlt Verlag; «Abschied von Atocha» Roman 2013 Rowohlt Verlag; alle übers. von Nikolaus Stingl.

 


Friederike Mayröcker

Friederike Mayröcker © MK
Friederike Mayröcker © MK

Lebt in Wien

 

Es ist uns gelungen, eine der bedeutendsten zeitgenössischen österreichischen Schriftstellerinnen doch noch dazu zu bringen, auch bei Sprachsalz für unser Publikum aus ihrem Werk zu lesen. Sie steige so lange in ein Bild hinein, bis das Bild zur Sprache werde, sagt sie selber. Und aus den Bildern wird ein poetisches, oftmals melancholisches Gespinst. Sie ist die unentwegte Wegbereiterin, nicht nur der modernen österreichischen Literatur, sondern der Literatur im gesamten deutschen Sprachraum. «Was ich auch immer sage, es ist nicht endgültig gesagt, und ihr sollt deshalb auch nicht vorwurfsvoll feststellen: hier und dort hast du dich über dieselbe Sache anders ausgesprochen.» 


Aber Vorsicht: Ist es doch so, dass das Entfesselte bei ihr nur scheinbar Entfesseltes ist. In Wahrheit ist es das Produkt strengster Selbstbeschränkung und genauester Feinarbeit. Drei Tage vor dem Tod ihres Lebenspartners Ernst Jandl hatte sie – in einer Paraphrase auf eines seiner Gedichte - folgende Zeilen geschrieben: «in der Küche stehen wir beide / rühren in dem leeren Topf / schauen aus dem Fenster beide / haben 
1 Gedicht im Kopf.» So wortkarg, so schlicht die Wortverschwenderin: Das irritiert, aber rührt einen zugleich. Mit dem Internet wollte sie lieber nichts mehr zu tun haben, nun aber hat sie es doch für uns und unser Publikum gewagt: Friederike Mayröcker wird am Freitag live für Sprachsalz lesen.
    

 

HDH



 

Bücher: «Da ich Morgens und moosgrün ans Fenster trete» Gedichte 2020; «Pathos und Schwalbe» 2018; «fleurs» 2016; «cahier» 2014; «études» 2013; «Von den Umarmungen» 2012; «Ich sitze GRAUSAM da» 2013; «vom Umhalsen der Sperlingswand, oder 1 Schuhmann­wahnsinn»  2011; «ich bin in der Anstalt» 2013; «sacardanelli» 2009; «paloma» 2008; «Magische Blätter VI» 2007 Suhrkamp Verlag; «Und ich schüttle einen Liebling» 2005; «Mein Arbeitstirol» 2003; «Requiem für Ernst Jandl» 2001; «Magische Blätter I-V» 2001; «Notizen auf einem Kamel» Gedichte 1991 – 1996 1996; «Lection» 1994 alle Suhrkamp Verlag; «Fantom Fan» 1971 Rowohlt Verlag; «Das Licht in der Landschaft» 1975 Suhrkamp Verlag.


Marie Modiano & Peter Von Poehl

Marie Modiano © F. Mantovani Gallimard
Marie Modiano © F. Mantovani Gallimard

Leben in Paris

 

Letztes Jahr war Marie Modiano bei uns zu Gast mit ihrem Roman «Das Ende der Spielzeit». Dieses Jahr hat sie spontan den Vorschlag gemacht, etwas zum speziellen Festival 2020 beitragen zu wollen, was wir natürlich gerne annehmen. Sie wird ihre Texte mischen mit denen Ihres Vaters (jawohl, DER Patrick Modiano), und sie tritt gemeinsam auf mit ihrem Lebenspartner, dem schwedischen Musiker Peter von Poehl, mit dem sie soeben die CD «Songs From The Other Side» herausgegeben hat. Wir dürfen uns also auch auf einige Chansons freuen. 


In ihrem Roman geht es um eine junge Schauspielerin, die von einer frühen schweren Liebe erzählt und den Erlebnissen auf der Reise mit einer Theatergruppe, die ebenso abenteuerlich wie mitunter verzweifelt sind. Diese Jugenderlebnisse weckten in mir sofort ein vertrautes Gefühl: Das ständige Suchen, das ebenso stetige Nicht-Finden, die übergroße Sehnsucht nach – ja wonach? «Ich bin mir schon jetzt bewusst, dass gewisse Momente im Leben nur dazu dienen, sich fast sofort in Erinnerungen zu verwandeln. Würde man versuchen, sie auszudehnen, verlören sie an Wert.» Gerade, weil sie den Prozess des Erlebens und Verarbeitens in ihrem Roman immer transparent macht, wird dieses Stück Jugend, wie wir es wohl alle erlebt haben könnten, so nachvollziehbar. 
    

 

MK



 

Bücher: «Das Ende der Spielzeit» Roman 2018 Rotpunkt Verlag (übers. von Gabriela Zehnder); «Pauvre Chanson et autres poèmes» Prosa 2018 Gallimard; «lointain» 2017 Collection Blanche Gallimard. Songs: «Pauvre Chanson» 2020 ; «Songs From The Other Side» 2019.

mariemodiano.tumblr.com


Sayaka Murata

Sayaka Murata  ©Shinchosha
Sayaka Murata ©Shinchosha

Lebt in Tokio

 

Wie alle unsere diesjährigen Zusagen,  ist auch diese unserem guten internationalen Ruf und unserem Netzwerk zu verdanken. Die zurzeit wohl bekannteste japanische Autorin ist mit ihrem soeben erschienenen Buch bei uns zu Gast. Ich persönlich hätte sie sehr gerne bereits mit ihrem ersten Buch «Die Ladenhüterin» im Sprachsalz-Programm gesehen, was damals leider nicht möglich war, aber nun ist sie dabei. In ihrem ersten Buch – von Ursula Gräfe ins Deutsche übersetzt  - erzählte sie von der Arbeit in einem Konbini (Japanischer Convenience Shop), wobei sie selbst lange Zeit in einem solchen Konbini arbeitete. In diesem Buch stellt sie in präzisen Parabeln, wie man es von der japanischen Literatur gewohnt ist, den Leistungsdruck in der japanischen Gesellschaft in Frage. An Frauen werden allerhöchste Ansprüche gestellt: einmal die Karriere, dann frühe Heirat und Kinder, und zudem den Körper und Freundschaften pflegen. Ihre Protagonistin Keiko lässt sich jedoch nicht auf diese vorgegebenen Muster ein, wodurch sie umgehend zu einer Provokation für die anderen wird.

Das Thema im neuen Roman ist wiederum ein unangenehmes und auch in unserem Kulturkreis nicht unbekannt. „Ich fand nicht das Geringste dabei, von Werkezeugen wie ein Werkzeug behandelt zu werden, doch sobald meine Mutter und Schwester sich so verdächtig zugänglich verhielten, wurde mir unheimlich.“ Ein großartiges Buch einer außergewöhnlichen Schriftstellerin, zu hören/sehen bei Sprachsalz.
    

 

HDH

 



Bücher: ««Das Seidenraupenzimmer» Roman 2020; «Die Ladenhüterin» 2018 (beide Aufbau Verlag, übers. von Ursula Gräfe); «Shōmetsu sekai» Kawade Shobo Shinsha, 2015; «Satsujin shussan» Kodansha 2014; «Hakobune» Shueisha 2011; «Hoshi ga sū mizu» Kodansha 2010; «Gin’iro no uta» Shinchosha 2010; «Junyū» Kodansha 2005.


Stewart O'Nan

O'Nan Stewart © Philippe MATSAS_ Opale
O'Nan Stewart © Philippe MATSAS_ Opale

Lebt In Pittsburgh

 

Eine solche Dichte an weltbekannten Schriftsteller*innen ist sogar für unser Sprachsalz-Team, das bereits einiges vorlegen konnte, etwas ganz Besonderes. 
Stewart O‘Nan steht seit langem auf meiner Einladungsliste, aber trotz beiderseitigem Wohlwollen ist es sich bislang nicht ausgegangen. In diesem Jahr klappt es: Er erschafft in seinen Büchern eine erstaunliche atmosphärische Nähe zu seinen Figuren, wie etwa in dem Roman «Emily allein», in welchem Emilys Radius mehr und mehr zusammenschrumpft und unvermittelt zu unserem eigenen wird. Wir teilen ihre Ängste und erfahren von Todesfällen im stetig kleiner werdenden Freundeskreis. «Wie jeder Todesfall in ihrem Bekanntenkreis brachte auch dieser Emily ihrem eigenen Tod näher, als wären sie alle um einen Platz aufgerückt.» Sie ersehnt die Festtage, an denen sie ihre Kinder und Enkelkinder erwartet, wenn diese Begegnungen dann auch oft nicht ihren Erwartungen entsprechen. Nichts kommt wirklich zurück, und die Erinnerung ist gelegentlich trügerisch. Zu Sprachsalz kommt er mit dem Roman «Henry, persönlich”; die Geschichte des Ehemannes von Emily. Emily kocht und Henry macht den Abwasch, sie hält Kontakt zu den Nachbarn zur Familie, und wenn sie ihm davon erzählt, hört er stets gerne zu. Ich habe dieses Buch erst unlängst ausgelesen und gerate leicht ins Schwärmen darüber: was für ein herausragendes Buch, was für ein grandioser Schriftsteller und das (endlich) bei Sprachsalz.


 

HDH



 

Bücher: «Henry persönlich» 2019; «Westlich des Sunset» 2015; «Die Chance» 2014; «Emily allein» 2011; «Alle lieben dich» 2009; «Letzte Nacht» 2007; «Eine gute Ehefrau» 2007; Abschied von Chautauqua» 2005; «Halloween» 2004; «Das Glück der Anderen» 2000; «Die Armee der Superhelden» 2000; «Die Speed Queen» 1998; «Engel im Schnee» 1997; alle Romane erschienen übers. von Thomas Gunkel im Rowohlt Verlag


Annie Proulx

Annie Proulx © Gus Powell
Annie Proulx © Gus Powell

Lebt in Port Townsend Washington USA

 

Höher geht es ehrenpreislich kaum: 2018 der Library of Congress Prize for Fiction, 2017 die National Book Foundation Medal für herausragende Verdienste zur US-amerikanischen Literatur, der Aga Khan Prize (2004), der New Yorker Book Award, gleich zwei O Henry Awards für die beste Kurz­geschichte des Jahres, Pulitzer-Preis (1994) und der PEN/Faulkner Award (1993). Dazu drei Oscars für die Verfilmung ihrer Kurzgeschichte «Brokeback Mountain». Viel wichtiger aber ist: Annie Proulx‘ Bücher zu lesen! Sie, deren frankokanadischer Vater in ihrer Kindheit zwanghaft mit der Familie in Permanenz umsiedelte und umsiedelte, zeichnet ein Bild von Amerika, vom Nordosten (in «Postkarten»), vor allem in vielen short stories von Amerikas «Herzland» Wyoming, wo sie 25 Jahre lebte, so dicht und intensiv wie kaum eine andere Autorin ihres Jahr­gangs. Ein großes Panorama von Gefühlen, Härten, Grenz­überschreitungen, Obsessionen, Sehnsucht, Leidenschaft, von Erobern und Zerstören – um Letzteres dreht sich ihr 900 Seiten-Roman «Aus hartem Holz», aus dem sie bei Sprachsalz lesen wird –, Verlust und Heimat hat sie in ihren Romanen wortmächtig entworfen: «In winterlichen Wirbelstürmen stieben Girlanden lockeren Schnees im beißenden Nebel, der ganze Himmel ist in Aufruhr wie ein tosender Ozean und schleudert die Vögel wie Steine umher.»
    

 

AK



 

Bücher: «Aus hartem Holz» Roman 2017 btb (übers. von Andrea Stumpf und Melanie Walz); «Ein Haus in der Wildnis» Erinnerungen 2011 (übers. von Melanie Walz); «Hier hat’s mir schon immer gefallen» Erzählungen 2009 (übers. von Melanie Walz); «Mitten in Amerika» Roman 2003 (übers. von Melanie Walz), alle Luchterhand Literaturverlag; «Schiffsmeldungen» Roman 1995 List (übers. von Michael Hofmann).


Richard Russo

Richard Russo © Elena Seibert
Richard Russo © Elena Seibert

Lebt in Portland Maine USA

 

Richard Russo erhielt 2002 den Pulitzer Preis für sein Werk «Empire Falls». Seine großen Romane sind alle verfilmt worden.


Diese umfangreichen Epen sind in den Provinzstädten der Ostküste angesiedelt. Minutiös beschreibt er den wirtschaftlichen Niedergang in ehemaligen Industriezentren und die Auswirkungen auf die einfachen Menschen in diesen Gegenden. 
In seinem neuen Roman «Jenseits der Erwartungen», aus dem Russo bei Sprachsalz auch lesen wird, treffen sich drei alte Freunde aus Studienzeiten nach vierzig Jahren wieder. Damals waren alle drei in das gleiche Mädchen verliebt, welches nach dem Memorial Day 1971 spurlos verschwand. Russo erzählt in diesem Buch von unterschiedlichen Schicksalen, von der großen Kluft zwischen Arm und Reich und dem schwelenden Hass in der amerikanischen Gesellschaft.


Russo ist ein Meister des realistischen Schreibens, er steht dabei ganz in der Tradition der großen amerikanischen Romanciers wie Twain, Steinbeck und Wolfe. In seinen Werken gelingt es ihm von der ersten Seite an, eine Spannung aufzubauen und diese bis zum Schluss aufrecht zu halten. Es sind genau gearbeitete Kompositionen, wo jeder Satz, jede Szene genau gesetzt wird. 
Die einzelnen Handlungsstränge sind eng verknüpft und die Figuren differenziert gezeichnet. Er behandelt sein Personal mit Respekt, aber ebenso viel Ironie und Humor.
Vorschlag: Bereits im Mai hätte Russo – auf Einladung von Sprachsalz – im Wiener Café Korb gelesen, doch kam Corona dazwischen. Heuer ist er Gast beim digitalen Sprachsalz und wir sind überzeugt, dass er bei der nächsten Gelegenheit nach Hall kommen wird.
    

 

ES



 

Bücher: «Jenseits der Erwartungen» Roman 2020; «Immergleiche Wege» Erzählungen 2018; «Ein Mann der Tat» Roman 2017; «Diese gottverdammten Träume» Roman 2016; «Diese alte Sehnsucht» Roman 2010; alle erschienen übers. von Monika Köpfer im Dumont Verlag..


Tot Taylor

Dieter Sperl © Dieter Sperl
Dieter Sperl © Dieter Sperl

Lebt in Cornwall und London

 

Wir können geradesogut mit einer Fussnote beginnen. Beim Beschneiden von Rosen, so informiert uns eine solche ungefähr in der Mitte von Tot Taylors lustvoll über 960 Seiten wuchernder Biographie des fiktiven Sixties-Singer/Songwriter John Nightly, käme es nicht drauf an, ob man mit einer Motorsäge drauflos schlenze oder säuberlich mit einer Gartenschere ans Werk gehe, dies gemäss eines am 1. September 2005 publizierten Reportes der britischen Vereinigung von Rosenzüchtern. Die Fussnote ist nötig, um Nightlys Gewohnheit, den Garten mit Mineralwasser zu begiessen und mit der Nagelschere zu beschneiden, in den rechten Kontext zu stellen. Exzentriker sind eine prächtige, britische Erfindung, und der Schöpfer von John Nightly fügt sich perfekt in eine Tradition, der schillernde Figuren wie William Blake, Spike Milligan oder Vivian Stanshall entwachsen sind. Tot Taylor landete als Schulbub seinen ersten Plattenvertrag, führte danach eine Power-Pop-Band namens «Advertising» (LP: «Jingles»), verbrachte die 80er Jahre als erfolgreicher Songschreiber, Soundtrack-Komponist und Plattenfirmenkapitän. Von 2003 bis 2018 führte er die «Riflemaker Gallery» in Soho, die sich auf Künstlerinnen wie Yoko Ono und Judy Chicago spezialisierte, und schrieb Bücher über Gavin Turk, Andy Warhol und die Indica Gallery, wo Yoko Ono John Lennon kennenlernte. Inzwischen ist Tot zur Musik zurückgekehrt – soeben erschienen sind die Singles «Yoko, Oh» und «Baby, I Miss the Internet». Natürlich ist Tot auch ein begnadeter Raconteur, dessen Geschichten nur so strotzen von feinen Namen, schrägen Pointen und süffigen Melodien…
    

HPK 



 

Buch: «The Story of John Nightly» Roman 2019 Heyne Encore (übers. von Ingo Herzke, Philip Bradatsch, Harriet Fricke, Stephan Glietsch, Bernd Gockel, Kristof Hahn, Norbert Jakober, Alexander Wagner).

www.tottaylor.com


Ocean Vuong

Durian Sukegawa © Sukegawa
Durian Sukegawa © Sukegawa

Lebt in Northampton USA

 

Man muss nicht lange nach Worten suchen, die dieses Buch beschreiben: «Auf Erden sind wir kurz grandios» ist ein ganz wundervoller Text, der irgendwo zwischen Lyrik, Fragment, Autobiografie und Roman schwebt – ohne jemals abzuheben. Dafür tätowiert Vuong mit einer Gänsehaut erzeugenden Vehemenz Satz für Satz in die Haut seiner Leser*innen. «An American soldier fucked a Vietnamese farmgirl. Thus my mother exists / Thus I exist. Thus no bombs = no family = no me.» So bringt Vuong in einem Gedicht seine Biografie auf den kürzest möglichen Nenner und diese Biografie ist auch die Basis seines Prosadebüts, dessen Protagonist little dog, wie er von der Großmutter genannt wird, einen Brief an die Mutter schreibt. «Etwas zu lieben heißt so, ihm einen derart schäbigen Namen zu geben, dass es vielleicht unberührt bleibt – und am Leben. Ein Name, dünn wie Luft, kann auch ein Schild sein. Ein Kleiner-Hunde-Schild.» Liebe, Geliebt werden und selbst zu lieben durchzieht dieses Buch teils wie ein zarter Lufthauch, teils wie ein eiskalter Windstoß. Nicht davon berührt zu werden ist unmöglich.
    

 

UW

 



Bücher:«Auf Erden sind wir kurz grandios» Roman 2019; «Nichthimmel mit Austrittswunden» Gedichte 2020; alle erschienen übers. von Anne-Kristin Mittag im Hanser Verlag.

www.oceanvuong.com


Kinderprogramm – Sprachsalz Mini

Mehr zum Kinderprogrammm hier:

Nina Blazon

Nina Blazon © Holger strehlow
Nina Blazon © Holger strehlow

Lebt in Stuttggart

 

Was wäre, wenn … Was wäre, wenn Märchen gar nicht erfunden wären und es all die Figuren und fantastischen Gestalten wirklich gegeben hätte? 
«Diesmal war es nicht ihr üblicher Albtraum, nein, in dieser Nacht wurde Fee von Gespenstern heimgesucht.» So beginnt Nina Blazons aktueller Roman «Fayra – Das Herz der Phönixtochter» für Leser*innen ab 10 Jahren, das schnell Platz 1 der Phantastik-Bestenliste eroberte.  Nina Blazon erzählt die Geschichte der 12-jährigen Anna-Fee, die mit ihren Eltern in ein altes Herrenhaus umgezogen ist. Im verwunschenen Garten des Anwesens begegnet sie nach einer Sturmnacht dem rätselhaften Mädchen Fayra. Ein durch­triebener Jäger aus einer Parallelwelt lockte sie als Tochter eines von Phönixdrachen abstammenden Königs hierher, denn Fayra besitzt begehrte magische Kräfte. In einem Wettlauf gegen die Zeit suchen die Mädchen nach einem Feuertor, 
das Fayra wieder nach Hause und in Sicherheit bringt …
    

 

UW



Kinderbücher: «Kiesel, die Elfe» Band 1-3, Kinderroman 2019–20, «Rabenherz & Eismund» Jugendroman 2019, «Fayra – Das Herz der Phönixtochter» Kinderroman 2017 alle cbj Random House München.


www.ninablazon.de

Michael Stavarič

Michael Stavaric © Yves Noir
Michael Stavaric © Yves Noir

Der kleine Rabe findet, dass Menschen eine völlig falsche Vorstellung von Rabenmüttern und außerdem sehr merkwürdige Ideen haben. Vogelscheuchen? Echt? Warum bauen die Vogelscheuchen? Das ist fies! Und so beschließt er, es den Menschen mit gleicher Münze heimzuzahlen und baut eine ganz und gar schauerliche Menschenscheuche. Sollen die doch auch mal das Fürchten lernen!
Ob der kleine Rabe mit dieser Entscheidung wirklich glücklich ist? Das erfahrt Ihr bei der Lesung mit Michael Stavarič. Der erfindet nämlich solche wundervoll ungewöhnlichen Geschich­ten mit ungewöhnlichen Heldinnen und Helden für Kinder (und deren Eltern), in denen man ungewöhnlich viel entdecken und lernen kann. Für Grundschüler bis Klasse 3.   

UW



 

Kinderbücher: «Balthasar Blutberg» Bilderbuch 2020, luftschacht Verlag Wien, «Die Menschenscheuche» Bilderbuch 2019, «Als der Elsternkönig sein Weiß verlor» Bilderbuch 2017, alle Kunstanstifter Verlag, Mannheim. Bücher für Erwachsene: «Fremdes Licht» Roman 2020, «Gotland» Roman 2018, alle Luchterhand Verlag, München.