Barbara Bongartz

Barbara Bongartz bei Sprachsalz 2007
Barbara Bongartz bei Sprachsalz 2007

Barbara Bongartz, die Sprachsalz 2007 mit Ihrer charmanten Anwesenheit beehrt hatte, gehört auch zu den Jubiläumsgästen. Und sie schickt uns auf wahrhaft abenteuerlichen digitalen Umwegen aus Tadschikistan den Anfang de Romans, an dem sie gerade schreibt, etwas ganz besonderes also:

 

 

 

Damage / Projektionen

(Arbeitstitel)

 

Roman MS © Barbara Bongartz 2012

 

 

Prolog

Sie schreibt den ersten Satz.

Ada sagte einmal, daß sie mit jedem ersten Satz alles zu überschreiben versuche, nicht nur die Tagebücher, die immer noch bei den Gerichtsakten liegen und die man ihr nie mehr aushändigen wird, sondern auch das, was danach geschah und was die Tagebücher nicht enthalten. Der erste Satz, sagte Ada, verspräche immer Erlösung, weil er ein Anfang sei, ein neuer Versuch. Er berge die Hoffnung, daß es ihr dieses Mal gelingen könnte. Zugleich er der Auftakt erneuter Enttäuschung sei. Denn in dem Augenblick, in dem sie ihn geschrieben hätte, wüßte sie, daß es ihr nicht gelingen würde, das, was einst geschah, in Fiktion zu verwandeln. Sie würde den Roman weiterschreiben, aber auf ein nächstes Mal hoffen müssen, bedroht von der Angst, es möglicherweise nie zu schaffen, egal wieviel, wie lang, wie hingebungsvoll sie schriebe.

Dann schreibt sie den ersten Satz.

 

 

EINS - Damage

Gestern, als sich zum 39. Mal der Tag jährte, an dem Adas Welt auseinanderbrach, erhielt ich eine Mail des Verlags, bei dem 2007 mein Roman "Der Tote von Passy" erschienen war. Der Verleger leitete mir eine Anfrage weiter. Ich mußte die Nachricht mehrmals lesen, bevor mir klar wurde, worum es ging. Unter dem Titel "Trennungen. Autoren über ihr Leben mit fremden Eltern" planen die Herausgeber ein Buch über Schriftsteller, die für längere Zeit oder immer von ihren natürlichen Eltern getrennt gelebt hatten - aus welchen Gründen auch immer. In diesem Buch wollen sie ein paar Seiten aus "Der Tote von Passy" abdrucken und bitten höflich um die Genehmigung. Leider haben sie kein Geld. Ob ich dennoch einverstanden sei?

Vermutlich wird es ein Vorwort oder ein Nachwort geben, in jedem Fall sammeln die Herausgeber Texte von Autoren, die sich zu diesem Thema geäußert haben. Sie wollen Auszüge aus Romanen, Autobiographien, Kurzgeschichten, Tagebuchnotizen und Briefen zusammenstellen. Was der Hintergrund der Idee ist, geht aus der Mail nicht hervor. Auf der Liste stehen mir bekannte Namen: Louis Aragon, Thomas Bernhard, Paula Fox, Jean Genet, Patricia Highsmith. Ich wundere mich, daß sie Undine Gruenter außen vor gelassen haben, gerade an sie hätte ich als Erste gedacht. Und natürlich fiel mir Anne Perry ein. Aber möglicherweise hat sie, die damals noch Juliet Hulme hieß, sich niemals zu den langen Trennungen von ihren Eltern geäußert. Wie meine Cousine Ada Adrian. Beide vermeiden das Nachdenken über die eigene Vergangenheit. Was hinter dem Spiegel lauert, mag beiden zu schrecklich erscheinen. Zu lebendig. Immer noch. Und zu nackt ...

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0